Drei Beiträge betrifft die gestrige Diskussion – hier die 3 Links nochmal (für Neueinsteiger in dieses Thema):
https://ueberlebendlebendlebendig.wordpress.com/2019/10/31/ein-schwieriges-thema/
https://therapiealternative.wordpress.com/2019/10/31/in-einer-zeit-vor-unserer-zeit/
Diese Fragen halte ich für sehr wichtig und ich freue mich soviele gute Gedanken hierzu von Menschen zu lesen, die sich mehr dafür interessieren als schwarz und weiß.
Ich gehe jetzt vor allem auf die Fragen von Vergissmeinnicht… ein, weil mir da viele Antworten und Möglichkeiten der Interpretation eingefallen sind. (und auch weil ich mit Überlebendlebend…. bereits per email einen Austausch darüber hatte).
Es geht ja um das Thema: Was macht ein Opfer zum Täter oder zum Nicht-Täter? Du Vergissmeinnicht…. schreibst: „Unsere Mutter wurde Opfer und Täter im Erwachsenen Leben. Wir waren Opfer und waren Täter als Kind aber nicht als Erwachsene.“
Ich: Woher weißt Du das? Kannst Du das mit Sicherheit verbürgen? Woher weißt Du ob sie nicht schon als Kind (und es selbst nicht wussten – als Kleinkind, Baby oder sich einfach nicht mehr erinnern konnten) Opfer geworden sind und es nur fortsetzen?
Weiter stellst Du da einen Unterschied fest zwischen ‚Deinen‘ Tätern und Dir, indem Du das fehlende Mitgefühl heraus nimmst und schilderst das Beispiel von Deinem ‚Täterintrojekt‘, das damals verantwortlich war für etwas was Du mit einem Kind wiederholt hast und dann aufgehört hast, als das Kind weinte….
Da fallen mir 2 Dinge auf: Du distanzierst Dich (sprachlich schon) von Deinem Täterintrojekt, in dem Du plötzlich in der 3. Person von diesem Anteil sprichst. In der 3. Person kann man m.e. keine Verantwortung dafür unternehmen – aber darauf will ich gar nicht hinaus, Du warst ja auch noch Kind. Wesentlich ist mir dabei zu bemerken, dass es möglicherweise den sog. Tätern ebenso geht, dass sie sich abgespaltet haben von dem „bösen Introjekt“. Abgesehen davon, weiß man oft ja gar nicht unter welchem Wertesystem Menschen aufgewachsen sind. Vor allem die Kirche hat viel Böses verbreitet in Wort und Taten, das kann Menschen sehr verwirren und seine Wertvorstellungen so verdrehen, dass sie zum eigenen System passen.
Du sagst oder hast den Verdacht, dass Täter Freude am Leid der anderen haben. Auch da wieder eine Frage: Bist Du Dir dessen sicher?
Dazu das Beispiel eines Kindes, das andere missbraucht (solche hältst Du ja nicht für verantwortlich – ich auch) es handelt z.Bsp. aus einem Druck heraus, weil solche Missbräuche sehr viel inneren Druck und Hilflosigkeit erzeugen. Es versucht es vielleicht bei anderen Kindern loszuwerden, weil der Druck kaum noch aushaltbar ist und weil der Druck vielleicht schwächer wird, wenn es einem anderen Kind dasselbe antut, weil der Druck nachlässt, wenn es sich nicht mehr hilflos fühlt, denn es kann ja was bewirken, den Druck weitergeben – das hilft möglicherweise kurzfristig.
Jetzt nehmen wir an, dieses gleiche Kind wird niemals dabei entdeckt (wird wohl sehr oft so sein) und integriert die Geschichte des Missbrauchs in der Art, dass es zwar verdrängt was geschehen ist, aber der Druck taucht immer wieder auf…. die Gehirnbahnen werden entsprechend eingefräst als Lösungsweg, der beibehalten wird, denn es bleibt verborgen, was ihm selbst geschehen ist damals als Kind. Das ist übrigens bereits erforscht, dass die meisten Täter die Traumen ihrer Kindheit bezüglich Missbrauch nicht mehr verfügbar haben – tief vergraben. (Nebenbei noch bemerkt, Jungens/Männer die Missbrauch erlebten, haben es in unserer Gesellschaft noch schwerer, so einen Missbrauch zuzugeben, denn er gilt ja als ‚unmännlich‘ – sie haben diese Hypothek zusätzlich noch obendrauf) So kommt es zu Wiederholungen ohne Ende. Da Missbrauch ja verpönt ist, wird er natürlich so gut es geht von den Tätern verborgen. Und übrigens, man hat auch längst Untersuchungen gemacht – ob Menschen durch Gefängnisstrafen oder gar Todesstrafen von Verbrechen abgehalten werden kann – das Ergebnis war sehr mager. Die Verbrechen wurden trotzdem meist begangen, die Verbrechensrate sank nur minimal. Und da gibt es noch ein nachgewiesenes Fakt in der Kriminalwissenschaft, dass viele Täter seltsame Fehler in ihren Taten einbauen und es scheint, dass manche Täter es (unbewusst) regelrecht darauf anlegen gefasst zu werden. (Hinweis auf ein Schuldbewusstsein aus der Tiefe der Seele)
Zum Unterschied will ich noch Deinen Punkt ‚Täter und Gelegenheit‘ anführen, den Du erwähnst, indem Du verantwortlich Kindern aus dem Weg gehst. Sorry, aber dann kannst Du nie Mutter werden. Ich habe eine Tochter großgezogen, ich habe in Kindergärten Praktika gemacht, ich liebe Kinder, ich bin Erzieherin – damals wusste ich noch nichts von einem Missbrauch der mir geschehen war, der war Jahrzehnte vergraben. Frage an Dich V.; Willst Du wirklich die Möglichkeit Mutter zu werden, den Tätern opfern? Da finde ich den Weg Dir solche Fragen zu stellen und das Täter- und Opfersein zu ergründen und da immer mehr Bewusstsein zu schaffen, weitaus konstruktiver und das kann Dich weit besser davor schützen, etwas weiterzugeben was Dir geschah.
Also mir liegt völlig fern – das betone ich – eine Bresche für die Täter aller Art zu schlagen, ich halte es nur nicht für sehr hilfreich alles in schwarz und weiß einzuteilen. Unsere Vergangenheit (ich bin auch eine Nachkriegsgeneration) sollte uns geschichtlich interessieren und sensibel dafür machen, was da so viele in der Nazizeit so unsagbar schreckliche Dinge tun hat lassen – welche Mechanismen da im Spiel waren. Es geht mir um die Strukturen, die Gewalt, Missbrauch und Unwissenheit befördern, damit wir den Schrecklichkeiten Einhalt gebieten können. Wenn wir nur den Blick auf unser eigenes Opfersein richten und dabei stehen bleiben wird es m.e. nicht gestoppt.
Noch eine mutige Aussage von mir selbst – so wie Ihr das auch gewagt habt zuzugeben:
Ich habe mit 14 Jahren auch von 2 Gegebenheiten zu berichten, die ich noch heute für sehr schlimm halte: Eine war sicher auch eine aus dem sex. Missbrauchsfolgen und die andere aus meiner Gewaltvergangenheit. Ich bedrohte eine 2jährige für die ich verantwortlich war, weil sie nicht schlafen wollte und stattdessen schrie, sie zu ersticken, indem ich ihr die Decke über den Kopf zog bis sie vor Schreck still war. Ich habe heute noch große Gewissensbisse, dass es da eine Frau gibt, die noch irgendwo gespeichert hat, was damals geschah. Es vielleicht nicht wusste und Astma oder ähnliches bekam aus psychischen Gründen. Traumen – egal welcher couleur – setzen sich fort. Dieses damalige Kind und jetzt Frau wird sich mit ziemlicher Sicherheit nicht daran erinnern können, was ich ihr für Todesangst eingejagt habe. Und ihr hilft auch nicht, dass ich damals erst 14 Jahre alt war und grad meine Mutter gestorben war.
Ihr seht auch ich hatte Glück „nur“ den Stempel des Opfers aufgedrückt bekommen zu haben, weil niemand außer ich wusste was ich getan habe und so wurde ich nicht verTätert.
Ja, ein schwieriges Thema!
Ich hoffe meine Antworten und meine Infragestellungen von Schwarz/Weiß wurden nicht missverstanden.