Nach der Schule
Sie versucht die Erste zu sein beim Verlassen des Schulgebäudes. Schnell, schnell – sonst sehen sie sie. Flink wie ein Wiesel flitzt sie den kleinen Steig neben der Kirchenmauer entlang. Sie huscht in den Torbogen, der zum Friedhof führt. Sie hält noch kurz an um hinter sich zu schauen – ob sie nicht doch noch jemand aus ihrer Klasse gesehen hat. Nein, Gottseidank nicht. Ein wenig atemlos vom Laufen schleicht sie leise zu ihrem Engel. Er thront im hintersten Winkel direkt an der Mauer bei einem marmornen, schwarzen, großen Grab. Sie zwängt sich in die Lücke zwischen Grab und Friedhofsmauer und wird unsichtbar. Sie beruhigt sich langsam. Es war kein Laut zu hören, sicher waren die Mitschüler längst vorbei und auf dem Weg nach Hause. Eine ganze Viertelstunde dauert es bis sich Amelie aus dem Zwischenraum auf den Kiesweg traut. Sie blickt in das vertraute Gesicht des Engels, es ist ein liebevolles Gesicht und dennoch ist die Träne auf der Wange desselben unübersehbar. Er lacht, er weint denkt Amelie und bleibt lange versunken in den Anblick dieses Wesens aus Stein, das sie beinahe fühlen kann. Die Hände gefaltet zum Gebet, der eine Daumen fehlt, ob ihn wohl jemand abgeschlagen hat?
Amelie steht lange beinahe reglos vor dem Grab, bis eine Amsel mit lautem Gezeter auf der Schulter ihres Engels landet und sie mit schiefen Köpfchen anschaut. Jetzt ist Amelie wieder da – aus ihrer Versenkung heraus und überlegt, ob es wohl noch zu früh wäre für den Heimweg. Auf keinen Fall wollte sie den anderen Schulheimgängern begegnen. Zu oft hatten sie sie mit Schimpfworten und Tannenzapfen oder gar Steinen beworfen.
Sie spürt den Hunger im Magen und setzt sich auf die Grabsteinumrandung, packt ihr Butterbrot aus dem Ranzen und schlingt es schnell hinunter. Danach ist sie bereit für den Nachhauseweg, schnell geht sie noch einmal zurück zum Dorfbrunnen, nimmt 2 Handvoll vom kühlen Wasser und trinkt. Jetzt fühlt sie sich gut und mutig genug, den Weg an der Kirche vorbei in Richtung des Waldes zu gehen, den sie erst durchqueren muss um nach Hause zu kommen.
Amelie vergisst nicht ihr Ritual: solange Ablassgebete zu leiern bis sie an Kirche und Friedhofsmauer vorbei ist: „Gott sei mir armen Sünder gnädig“ – „Heiliges Herz Jesu, erbarme Dich meiner“ – „Königin des Rosenkranzes, bitte für mich“….. Heute hat sie es 21 Mal geschafft. Heute ist alles gut!
Nach der Schule – umgeschrieben
Sie versucht die Erste zu sein beim Verlassen des Schulgebäudes. Schnell, schnell – sonst sehen sie sie. Flink wie ein Wiesel flitzt sie den kleinen Steig neben der Kirchenmauer entlang. Sie huscht in den Torbogen, der zum Friedhof führt. Sie hält noch kurz an um hinter sich zu schauen – ob sie nicht doch noch jemand aus ihrer Klasse gesehen hat. Nein, Gottseidank nicht. Ein wenig atemlos vom Laufen schleicht sie leise zu ihrem Engel. Er trohnt im hintersten Winkel direkt an der Mauer bei einem marmornen, schwarzen, großen Grab. Sie zwängt sich in die Lücke zwischen Grab und Friedhofsmauer und wird unsichtbar. Sie beruhigt sich langsam. Es war kein Laut zu hören, sicher waren die Mitschüler längst vorbei und auf dem Weg nach Hause. Eine ganze Viertelstunde dauert es bis sich Amelie aus dem Zwischenraum auf den Kiesweg traut. Sie blickt in das vertraute Gesicht des Engels, es ist ein liebevolles Gesicht und dennoch ist die Träne auf der Wange desselben unübersehbar. Er lacht, er weint denkt Amelie und bleibt lange versunken in den Anblick dieses Wesens aus Stein, das sie beinahe fühlen kann. Die Hände gefaltet zum Gebet, der eine Daumen fehlt, ob ihn wohl jemand abgeschlagen hat?
Amelie steht lange beinahe reglos vor dem Grab, bis eine Amsel mit lautem Gezeter auf der Schulter ihres Engels landet und sie mit schiefen Köpfchen anschaut. Jetzt ist Amelie wieder da – aus ihrer Versenkung heraus und überlegt, ob es wohl noch zu früh wäre für den Heimweg. Auf keinen Fall wollte sie den anderen Schulheimgängern begegnen. Zu oft hatten sie sie mit Schimpfworten und Tannenzapfen oder gar Steinen beworfen.
Sie sieht aus den Augenwinkeln plötzlich eine Bewegung und schaut sich den steinernen Mund genau an. Die Lippen des Engeln waren ein wenig abgeblättert und sie erschrak, als sie einen kleinen goldenen Rosenkäfer aus dem halb geöffneten Mund krabbeln sieht. Er glitzerte in allen Regenbogenfarben. Während sie ihn betrachtete hörte sie eine Stimme: „Hallo Amelie, schön, dass Du mich immer besuchst.“ – Amelie sah sich erschreckt um – aber keiner war zu sehen – nur der Engel und die Grabsteine. Und mit einem mal bemerkte sie, als die Stimme weiter sprach, dass sie aus dem Mund des Engels kam: „Ja, ich spreche mit Dir Mädchen, ich will Dir sagen, dass Du nicht länger allein bist. Du kannst immer herkommen wenn Du Kummer hast.“
Amelie staunte mit offenen Mund den Engel an: „Echt?“ – konnte sie endlich sagen. „Ja, wirklich, ich sehe schon lange in welcher Not Du bist – in der Schule und auch zu Hause. Ich finde Du bekommst genug Schläge, nicht wahr – da hast Du sehr recht, dass Du Deinen Mitschülern ausweichst, damit Du da nicht auch noch geschlagen wirst. Und ja, ich stimme Deinen Gedanken zu: Du darfst die Schule schwänzen, quäle Dich da nicht mehr hin, Du kannst in dieser Dorfschule sowieso nichts lernen. Vier Klassen in einem Raum, da kann man sich nicht auf das Lernen konzentrieren. Ich weiß einen Weg, wo Du viel Wichtigeres und besser lernen kannst.“
Amelie: „Wirklich?“ – „Ja, wirklich“, antwortet ihr der Steinerne – „Gehe einfach jeden Morgen wie immer aus dem Haus, so als gingst Du zur Schule. Du gehst bis zur ersten Biegung und folgst dem Weg ungefähr 10 Minuten lang, dann siehst Du links einen versteckten Garten mit einem Bach, einem Weidenbaum. Die Besitzer dieses Gartens kommen nur am Wochenende her um ihn zu pflegen, Du musst Dir also keine Sorgen machen und außerdem werde ich Dich behüten und um Dich sein. Ich werde auch dafür Sorge tragen, dass niemand merkt, dass Du nicht in der Schule bist.“
Amelie staunte immer noch mit offenen Mund, dann endlich konnte sie fragen: „Wie heißt Du denn? Wieso kannst Du denn sprechen? Bist Du lebendig?“
Der Engel lächelte Amelie liebevoll an und seine Gestalt verwandelte sich, er sah jetzt heller aus und gar nicht mehr steinern und antwortete ihr: „Ich heiße Ezechiel und ich bin einer Deiner Schutzengel und ich behüte Dich seit Du Deine Seelenreise begonnen hast, denn ich wusste Du hattest Dir damals ein schwieriges Leben ausgesucht und so wollte ich Dich begleiten und Dir hilfreich zur Seite stehen. Und ja, ich bin lebendig, ich bin nicht wirklich aus Stein, aber das ist eine der sichtbaren Formen, die ich hier auf der Erde annehmen kann.“ Und nach einer kleinen Pause: „Amelie, Du kannst jetzt nach Hause gehen, niemand ist mehr auf Deinem Weg zu sehen. Und vergiss nicht, Du kannst mich immer besuchen, hier oder überall, Du musst nur an mich denken.“
Amelie ging zu dem Engel – ganz nah – und flüsterte: „Darf ich Dich berühren?“ – Und Ezechiel antwortete: „Leider nicht, das ist nicht möglich, weil ich nicht von dieser Welt bin, aber Du kannst mich spüren. Schließe die Augen, lege Deine Hand auf Dein Herz und achte darauf, was Du fühlst.“
Amelie legte ihre Hand auf das Herz und spürte eine große Wärme in der Herzgegend, die sie durchströmte und ihr wurde ganz leicht. Nach einer Weile öffnete sie wieder die Augen und der steinerne Engel sah aus wie immer, nur der Rosenkäfer war nicht mehr zu sehen. Sie packte ihren Schulranzen, schulterte ihn, drehte sich nochmal zum Engel um, winkte ihm und rief laut und mehrmals: „Danke lieber Ezechiel, danke, danke…..“ Und sie lief leichtfüßig nach Hause.
Übrigens, damals als ich so ca. 9 Jahre alt war, tat ich das tatsächlich, ich schwänzte ein dreiviertel Jahr die Schule und es sieht im Nachhinein so aus, als hätte Ezechiel tatsächlich über mir gewacht und keiner hat es gemerkt. Alles was in dieser Geschichte geschrieben steht, ist wirklich so geschehen. Ich sehe sogar den Garten mit der kleinen Mühle und Bach, mit dem Weidenbaum immer noch vor mir. Dieser Wald und Garten war der heilste Ort in meiner Kindheit.