Opfersein 2 – Anatomie

Wie kam es also dazu, dass ich aus der Opferrolle aussteigen konnte?

Ehrlich gesagt hat es dazu einen ewig langen Weg gebraucht und ich musste viele leidvolle Stufen durchleben, bevor ich erwachte.

Seltsamerweise fühlte ich mich als Kind – als ich all diese quälenden Dinge erlebte – überhaupt nicht als Opfer. Wahrscheinlich hatte ich kein Bewusstsein darüber, was ein Opfer war. Ein Tier das gequält wird spürt zwar den Schmerz, aber es hat kein Bewusstsein und kann nicht denken „mein Besitzer o.ä. quält mich und das ist unrecht“. So ergeht es Kindern wohl auch. Sie nehmen es hin als Gegebenheit und entwickeln ihre Schmerzvermeidungsverhalten, sie weichen aus, entwickeln unbewusst Strategien um Leid zu entgehen.

Die erste Phase ist dabei wohl, mit allem Sinnen verstehen zu wollen wie der Quäler gestrickt ist, um zu vermeiden oder sich darauf vorzubereiten. Die zweite Phase beginnt, wenn wir genügend gelernt haben, den uns Schmerz zufügenden Tätern zu begreifen und einzuordnen. Bei mir war das so, dass dann nicht mehr alleinig das Erdulden von Schmerz und Erniedrigung – im Vordergrund stand, sondern allmählich auch ein strategisches Handeln zur Vermeidung von Schmerz möglich war, wenn auch auf einer sehr niedrigen Stufe, irgendwie instinktiv. Gleichzeitig identifizierte ich mich mit den gequälten Haustieren, die noch hilfloser waren als ich und rettete so mein Mitgefühl – nicht für mich – aber für diese Geschöpfe. Bis heute ist das so geblieben, es macht mich fuchsteufelswild wenn ich sehe, dass Tiere gequält oder falsch gehalten werden.

Die nächste Phase  war der Übertritt in Hassgefühle. Durch Beobachtungen außerhalb meiner Familie registrierte ich sehr wohl, dass nicht jedes Kind geschlagen wurde, nicht jedes Kind gequält wurde und ich fing an auf einer unbewussten Ebene Gründe zu erkunden, die erklärten: warum ich? Meine Gründe, die ich damals fand – waren vielfältig und gespalten. Ein Teil von mir glaubte die Aussage: Ich wäre schlecht und hätte den Teufel im Leib, der andere glaubte das nicht und suchte eine andere Erklärung. Wohl schon sehr früh rettete ich mir das Bild eines gerechten, guten Gottes (eine sehr katholische Erziehung seitens meiner Großmutter wirkte da wohl mit) indem ich den Glaubenssatz entwickelte: „Ich bin hier um das Leid der Welt zu tilgen“ – In einer Therapie in jungen Erwachsenenjahren entdeckten wir ihn und damals war ich sehr berührt davon, denn ich fühlte das Kind in mir sehr deutlich, das diesen Glaubenssatz entwickelt hatte – in höchster Not – weil es keine bessere Erklärung für sein Leid fand. Ich wurde von da ab ein freiwilliges Opfer – jesusgleich. So ließ sich mein Leid besser ertragen, es bekam Sinn.

Heute sehe ich das im Rückblick so, dass mich diese ‚Lösung‘ davor bewahrte ein gewalttätiger Mensch zu werden, denn ich duldete alle Misserfolge ohne groß dagegen zu rebellieren. Zugleich war diese Lösung auch ein Gegengewicht gegen die Aussagen meiner Erziehungsberechtigten, dass sie falsch lagen, dass ich den Teufel in mir hatte und dass sie unrecht hatten, ich widerlegte sie ja damit, dass ich ähnliches tat wie Jesus (ich litt für die Menschheit). Ich war gut, denn ich schaffte das Leid der Welt ab, überall wo ich war. Mein Leben hatte Sinn.

Erst mit 17 war ich fähig mich anders zu betrachten und damit auch das Leben. Während meine gleichaltrigen Freunde um mich herum sich für Jungs, Partys, Discos interessierten hörte ich Klassische Musik, ging in Kirchenkonzerte, und sprach mit älteren Personen über Gott und stellte viele Fragen über das Leben. In dieser Zeit traf mich mein Leid mit Wucht. Ich sah das Unrecht mit vollem Bewusstsein, sowohl in meinem Leben, als auch in der Welt. Das war die Zeit wo ich Gott verlor. Ich konnte nicht mehr an ihn glauben, ich verzweifelte an der Welt und den Menschen. Ich sah nur noch Elend und Unrecht, um mich herum, einschließlich meines. Mehr als 10 Jahre folgte nun die Phase in der ich nicht mehr leben konnte, nicht mehr leben wollte und es wechselten sich die Zeiten ab – von Selbstmordgedanken, Therapieversuchen/ Suizidversuchen und Aufenthalte in Krankenhäusern und Psychiatrien. Trotzdem gab es auch in dieser Zeit Episoden von ein wenig Ruhe und „normalen Lebens“ – dank meiner so wunderbar funktionierender Alltagspersonen, denen es gelang, die Leidenden und Verzweifelten in mir in Schach zu halten. Heute finde ich es ein Wunder und gleichzeitig ein Geschenk, dass wir so starke, so fähige Alltagsleute in uns haben, mit denen wir es schafften einen Beruf zu lernen, ihn jahrelang gut auszuüben – (von den Zusammenbrüchen zwischendurch abgesehen).

Meine letzte Phase, die mich aus dem Leid schälte, war mein 7monatiger Aufenthalt in einer Psychosomatischen Klinik – wo man mich nach einigen Versuchen mich in Therapien einzubringen – kläglich gescheitert waren (sogar dort versuchte ich mich umzubringen). Dort sagte man mir es wäre besser keine Therapie mehr zu machen. (Man verriet mir damals nicht den Grund, aber heute denke ich, dass mich jede Therapie an den Eigentod führt). Aber ich war dort in dieser Klinik in alle anderen hilfreichen Gegebenheiten eingebunden. Ich bekam kleine anderweitige Aufgaben und nahm an Wanderungen, Frühsport, Autogenem Training, Morgenmedition, täglichen Versammlungen, Gestaltübungen, Malen…. etc. teil. In der Zeit wo die anderen in den Therapiegruppen waren hatte ich Freizeit und stromerte meist in der umliegenden schönen Gegend herum. Ich lebte ziemlich frei dort und erholte mich, zu den Essenszeiten musste ich immer da sein und  die gerade aufgezählten Angebote waren für mich verpflichtend. So verließ ich als neuer Mensch damals die Klinik und fühlte mich total stark und mächtig mein Leben zu gestalten. Einen kurzen Rückfall hatte ich noch in die Hilflosigkeit, als ich merkte, dass ich wohl doch nicht immer in dieser allmächtigen Position sein konnte. Ich dachte wieder an Selbstmord, ging aber kurz zu Besuch nochmal in die Klinik zurück, wo man mir begreiflich machte, dass das Leben ein Auf- und Ab ist und es normal war, auch mal ein Tief zu haben. Und allmählich akzeptierte ich von da an, dass das Leben schwingt.

Erst mit 28 Jahren gelang es mir diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Als dies geschah war das Leben für mich eine völlig neue Erfahrung – schon damals begegnete mir die erste Stufe von Selbstwirksamkeit. Ich konnte mich anders Betrachten und bemerkte, dass es außerhalb von meinem Elend noch anderes gab.

Kurz nach der Klinik war ich auch bereit für eine gesunde Partnerschaft und 3 Jahre später gebar ich meine Tochter. Sie war das Heilsamste für mich um zu lernen, zu erkennen, wie stark einen Liebe und Verantwortung für jemand macht. Alles konzentrierte sich auf ‚das gute Mutter sein wollen‘ und dass ich gelernte Erzieherin war und viel las, half mir sehr meiner Tochter das geben zu können, was ich von meiner Mutter nie bekam. So wie ich es heute aus der Distanz erlebe, war es sehr heilsam für mich diese ganzen Phasen der Kindheit zusammen mitzuerleben, ein Stück weit nachzuerleben, was mir gefehlt hat und was ich nun meiner Tochter schenken konnte.

Und ich habe gelernt, dass ich nun kein Opfer mehr bin und dass ich mich durch nichts und niemand mehr zum Opfer machen lasse. Dass ich eine Wahl habe!

 

 

 

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Ein bisschen Ruhe – Teilerfolg

Soweit ich zurück denken kann – neigte ich immer schnell zu Panik. Auch auf meinem neuen Weg war und ist das manchmal noch so. Aber mein Wissen um meine Art wie ich ticke hat sich erweitert. Ich weiß, dass Panikneigung zu den Traumafolgen gehört und diese Panikattacken bringen mich leicht dazu, dass ich „Schnellschüsse“ fabriziere, die sich im Nachhinein noch nie wirklich konstruktiv erwiesen. Es ist ein wildes Agieren, bestenfalls hilflose Reaktionen um Spannung abzubauen.

Mein neuer Weg ohne Therapie – sollte ja nicht nur aus „Gscheit-daher-reden“ (wie man in Bayern sagt) auf meinem Blog sein. Hier geht es nicht nur um mehr Bewusstheit, sondern auch um ERFAHRUNGEN. Das heißt Neues auch tun! Sich in neuen Dingen zu erleben, sich zu trauen, Angst überwinden – und gleichzeitig zu reflektieren, was man da tut und seine neuen Erfahrungen zu beobachten (auch zu den alten Gewohnheiten in Beziehung setzen) – sich selbst zu beobachten – während man sich im Neuen ausprobiert. Und ich werde von diesen Erfahrungen hier berichten, damit ich sie nicht mehr vergesse (was leicht passieren kann bei meinem löchrigen Gedächtnis, das dazu neigt gute und schöne Erfahrungen schnell wieder zu vergessen um die alten Muster weiter leben zu können, die einem so vertraut sind, dass wir immer wieder dahin zurück kehren wollen – weil sie uns eine Art ‚Heimatgefühl‘ geben).

Das ist echte Arbeit – sich selbst nackt gegenüber zu stehen – und die alten Bahnen zu verlassen – im vollen Bewusstsein – der Angst frontal gegenüber zu stehen – zu sehen, dass man ein richtiger Angsthase ist – wenn es um (lächerlich) Neues geht und nicht Ausreden und Beschönigungen für alte Verhaltensweisen zu kreieren – das ist echt hart. Da gibt es nur einen Weg daraus um nicht die Achtung vor sich selbst zu verlieren: man muss sich stellen oder sich eingestehen, dass man mal wieder am liebsten den ‚Opferweg‘ aus Feigheit wählen will. Das Blogschreiben hilft mir da sehr, da es darum geht die kleinen Unterschiede im Neuen im Vergleich zum Alten heraus zu arbeiten.

Wir können unsere Vergangenheit nicht ungeschehen machen, wenn wir uns immer wieder als Opfer fühlen. Unser Selbstwertgefühl wird durch die Annahme, dass wir auch jetzt noch ein Opfer sind – immer schwächer werden. Wir werden nicht die Selbstwirksamkeit erleben in der Opferidentifikation, wir werden (wieder) wie in der Kindheit nur die Hilflosigkeit bemerken und leiden. Wir werden dann nicht erleben, dass wir selbst etwas bewirken können in unserem Leben, allein durch stückweises Erleben, dass wir doch einiges tun können, was uns aus alten Rollen heraus bringen kann, wenn wir uns trotz der Angst und Panik dazu entscheiden, etwas Neues zu wagen. Dabei werden wir erleben (im letzten halben Jahr durfte ich das bei mir selbst erleben), dass jedes (noch so kleine) mutige Heraustreten aus alten Mustern mich gestärkt hat – innerlich und äußerlich. Kleine Schritte in die Richtung zu gehen, die Stück für Stück uns näher zu neuen Verhalten bringen. Die früheren Dramen des Leidens mögen dagegen spektakulär und wichtig erscheinen, aber hauptsächlich die kleinen Veränderungen bringen uns dem näher, was wir anstreben.

Wir können trotz dieser unsäglichen Vergangenheit selbst entscheiden, dass wir jetzt (anders als in der Kindheit) eine Wahl haben (eine Wahl zu haben kann auch Angst machen, da wir früher nie eine solche erlebt haben) – sofern wir mutig sind und unsere Angst am Kragen packen, ( und abzuwägen zwischen den verschiedenen Möglichkeiten und dann zu entscheiden), indem wir aus den üblichen Rückzugsaktionen (und vor und zurück Tänzen), ein stetes vorwärts gehen – wenn auch zitternd vielleicht – machen und erleben, dass wir im Vorwärtsgehen etwas anderes tun können, als wir es seit 100 Jahren (gefühlt) praktiziert haben. Wir können die ängstlichen, nichtsnutzigen, hoffnungslosen Stimmen in uns leiser drehen, wie bei einem Radio und können uns gut zureden, dass wir an uns glauben, wir trotz allem stark sind (denn das sind wir in der Tat) – stärker als in der Kindheit – und wir jetzt kein Kind mehr sind und die Fähigkeit in uns tragen, erwachsen zu handeln.

Das schafft neues Selbstbewusstsein, mit dem wir uns besser fühlen und erleben, dass wir selbst etwas in diesem Leben bewirken können, eben nicht mehr hilflos ausgeliefert sind.

Gute Therapie (auch bei Dis gibt es den Teil, der sich Trauma-Konfrontation nennt) konfrontiert einen auch maßvoll mit seinen alten Mustern und Schrecken aus der Vergangenheit. Das habe ich nie erlebt. Zusammenbrüche mit Todesnähe waren es bei mir immer in den Therapien, am Ende landete ich immer in einem Suizidversuch (in meinen jungen Erwachsenenjahren) oder völliger Verzweiflung und dem Gefühl der absoluten Hilflosigkeit.

Jetzt mache ich gute Therapie mit mir selbst selbst – solche therapeutischen Hilfen von unwirksamen oder gar schädlichen Therapien – will ich nicht mehr – ich lese jeden Tag in den Blogs, was solche Therapien mit Menschen anrichten können.

Meine Therapie ist ganz einfach: ich stelle mich dem, was jeden Tag auf mich zukommt – ganz allein ohne Hilfe (höchstens durch Freunde) – ich helfe mir selbst – nur ich weiß in der steten ehrlichen Erforschung und Beleuchtung, wenn ich auf Schwächen und Ängste bei mir treffe, dann genau nachspüren – nach dem was ich brauche, was ich neu entwickeln muss, um aus den ewigen alten Wiederholungsmustern heraus zu treten. Ich habe die Wahl es zu tun, oder aber auch es nicht zu tun und die alten antiquarischen Bedingen weiter zu leben. Es ist aber dann meine Verantwortung und nicht die von Personen (Tätern) aus meiner Kindheit, oder die böse Welt.

Was meine KG-Schein-Geschichte betrifft – habe ich jetzt endlich, nach der ganzen rumeierei* eine Entscheidung getroffen und mir einen Termin gesetzt, dass ich bei der KK vorsprechen werde – egal ob ich in Tränen ausbrechen werde oder meine Verteidiger nicht bändigen kann. Ich werde mich am Riemen reißen und mich für mich selbst einsetzen. Ich werde bis spätestens in 2 Wochen (dann endet der letzte KG-Schein) dort „erwachsen“ vorsprechen und meine Situation darstellen und mich für mich einsetzen. Es geht jetzt nicht mehr darum, wie das ausgeht, sondern um meinen Einsatz für mich und meinen Körper. Das ist das dringende Übungsfeld, das das reale Leben nun für mich bereit hält – eine Herausforderung – der ich mich stellen werde. Und ja, ich finde es irgendwie traurig, dass ich in meinem Alter noch immer nicht gelernt habe, mich für meine eigenen Belange einzusetzen (was für andere ganz normal ist) und ein wenig schäme ich mich dafür. Es wird Zeit!!!

Und siehe da, dass Kopfweh ist weg und der Blutdruck wieder fast normal. Die Einschlafstörungen teste ich jetzt lieber nicht ob die noch da sind 😉 da halte ich mich lieber an meine bereits erprobten Einschlafhilfen.

Warum leiden schöner ist….

Lieber Gott, wie lange muss ich noch leiden?“
Gott antwortete: „Solange du glaubst, es zu müssen.“

Den grünen Text habe ich im Blog (unten) von Mischa gelesen – bei meiner Recherche zum Thema Leid, die Sonrisa mit der Frage aufgeworfen hat: Wann wird aus Emotionen Leid? Dort habe ich auch einiges hinterlassen zum Thema Leid – bzw. kommentiert.

https://www.mischa-miltenberger.de/warum-leiden-schoener-ist-als-veraenderung/

DIE ENTSCHEIDUNG LIEGT BEI DIR

Du hast immer die Wahl und kannst dich immer dazu entscheiden, ob du leiden willst oder nicht.

  1. Du kannst die Situation verlassen
  2. Du kannst die Situation verändern
  3. Oder du kannst die Situation akzeptieren

Es kommt nicht darauf an, was dir widerfährt,
sondern wie du damit umgehst, was dir widerfährt,
denn nicht die Erfahrungen machen die Menschen,
sondern die Menschen machen sich selbst.

Wenn du das erkennst, übernimmst du Verantwortung für dein Leben. Und nur, wenn du die übernimmst, wirst du dem Leiden entkommen.

Ich weiß, dass das schwer ist und viel leichter gesagt, als getan. Aber eine Opferrolle anzunehmen und sich hilflos dem Leiden auszuliefern, weil alles andere Anstrengung bedeuten würde, ist nicht Sinn des Lebens. Du sollst glücklich sein. Also gehe auf die Suche nach der Ursache und löse das Leiden auf. Du bist fähig dazu. Du hast die Kraft dazu und keiner, außer dir, kann das für dich übernehmen.“

Als ich 2008 anfing meine Geschichten zu schreiben und diese Geschichten mir verrieten, mir Hinweise gaben, zu dem was ich als Kind erlebt hatte und merkte, dass Gefühltes in mir damals für mich gar nicht vorhanden war – fühlte ich es beim Schreiben und Lesen meiner Geschichten erst – das Leid, die Atmosphäre in der ich damals leben musste, die Verletzungen meiner Seele…. erst da. Seltsam! Es war mir nicht bewusst – ich war beschäftigt mit überleben.

Meine verletzten Gefühle verlagerte ich auf unsere vielen Haustiere, die geschlagen, gequält und vernachlässigt wurden, so brauchte ich meine nicht zu fühlen.

Die Tatsache, dass ich ein von meiner Mutter gehasstes Kind war, das den Teufel im Leib trug und deshalb täglich geschlagen werden musste, damit es gut wurde – berührte mich nicht, weil ich den Körperschmerz wunderbar abspalten konnte, mich auch körperlich gefühllos machen gelernt hatte. Und ich lebte nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Meine Gewissheit war, ich bin schlecht und es gab nichts was ich tun konnte um das zu ändern. Ich war frei! Ich konnte tun was ich wollte und ich tat es auch. Mein Zuhause war nicht das Haus, in dem ich lebte, sondern die Natur und die war heile. Für die erhob sich dort nicht die Frage ob ich schlecht war oder gut – ich war einfach nur. Ich fühlte mich nicht als Opfer. Vermutlich ist das der Grund für mein Selbstwirksamkeitsbestreben. [Erst mit meinen Therapien begann ich langsam zu reflektieren und bewusster zu werden – zu merken – wie schlimm es war, so aufzuwachsen. Und damit fing das Leid an.]

Ich war als Kind aber so klug, dass ich begriff, dass ich nur am Leben bleiben konnte, wenn ich Essen und Kleidung bekam, also musste ich in dieses Haus immer wieder zurück, floh aber jede freie Minute.

Kinder, um die sich niemand kümmert, die machen was sie wollen – werden normalerweise nicht so wie ich (in der Zeit als Erzieherin habe ich das später sehr genau gesehen) meist waren die Kinder schwer zu erziehen und wurden gewalttätig und später kriminell. Warum war das nicht meine ‚Karriere‘?

So schlecht die kath. Erziehung von der Schule und Kirche her auch war, sie hinterließ doch irgendwie auch positive Spuren. Und mein prägenster Glaubensatz: Ich bin hier um das Leid zu tilgen – war nicht nur die Aussage, dass ich als kleines Kind keine Erklärung für das viele Leid hatte, das ich zwar abgespalten hatte – aber doch auch erlebte und die Identifizierung mit dem Leid der Tiere – hat mich einen Sinn für mein Dasein finden lassen in den Religionslehren.

Die Auslagerung meines Leids, auf die Tiere mit denen ich täglich zu tun hatte, hat mir mein Mitgefühl gerettet und die heile Natur ebenso, mir eine wahre Welt gezeigt, mit der ich mich verbunden hatte.

Dass ich als Jugendliche oft nahe dran war, abzustürzen, z.B. in die Drogenwelt, mich aber immer wieder heraus schälte und immer wieder wohlwollende Menschen traf, nach dem Tod meiner Mutter (ich denke da an die erste Therapeutin, die ich mit 17 hatte, die mich aber doch mit ihrer lieben Art ganz sanft – mich im Spiel (wir spielten lange Zeit nur mit dem Psycho-Szenokasten) zu einem denkenden, fühlenden Wesen lenkte, war mein Glück. Es war also vom Schicksal gut gelenkt – denn wäre meine Mutter nicht gestorben, als ich 14 Jahre war – wer weiß – was dann aus mir geworden wäre. Im Grunde ist meine Mutter für mich letztlich gestorben.