Gewohnheit
Es ist wieder soweit, der Tanz hat begonnen. Die Jagd um den Tisch – Amelie ist schnell, sie rast, sie rennt immer rundherum. Sie blickt nicht in sein Gesicht, sie weiß es auch so, dass es jetzt immer röter wird, vor Wut, vor fehlender Atemluft, vor Anstrengung. Gut, sehr gut – so geht es ihm wenigstens auch nicht gut.
Sie unterdrückt den Impuls raus zu rennen ins Freie, aus der Küche – es würde nur alles hinauszögern, würde nicht helfen, aber er ist nahezu nicht beherrschbar. Jetzt, jetzt ist der Moment da wo sie sich stellen kann, sie bricht die Runde am Küchenbuffet unterm Fenster in der Ecke ab und macht sich klein – setzt ihren unsichtbaren Helm auf, macht den Rücken rund und wird leer. Ganz von weitem hört sie das Trommeln auf ihrem Körper, es dröhnte laut und die geschrienen Worte – wahrscheinlich Beschimpfungen – dringen nicht durch zu ihrem Verständnis. Es sind nur Töne, gedämpft durch das Trommeln und die Leere in ihrem Kopf.
Irgendwo in diesem Film weiß Amelie, dass ihre Mutter da ist, sie wird wie immer wortlos daneben stehen, aber sie wird wie immer nichts tun bis…. .es ihrer Tochter gelingt die Tote zu spielen, sich nicht bewegen war jetzt dran, schlaff werden, leblos – sicher wird sie wieder ihr hilfloses : Du schlägst sie ja tot – einwerfen. Warum wartet sie so lange? Was wenn Sie es diesmal nicht ruft? Dann will ich auch tot sein, denkt Amelie, dann will sie mich tot haben und es ist vorbei.
Aber wenn sie erst tot wäre, dann würde sie ihn, den Stiefvater als Geist verfolgen. Sie würde ihn zu Tode erschrecken, sie würde sich rächen bis in alle Ewigkeit.
Und Mutter würde weinen, sie wäre jetzt allein mit diesem Ekel, konnte ihren Hass auf mich und ihre Entäuschung nicht mehr loswerden an mir. Und es wäre gut, wenn sie weinte. Sie sollte alle Tränen weinen, die Amelie nicht weinen wollte, weil sie ihm die Genugtuung nicht vergönnte.
Da war es wieder das jammerige: Hör auf, hör auf, Du schlägst sie ja tot.
Ein paar Schläge noch, dann durfte sie aufstehen, die Holzscheite standen schon bereit. Ein kurzer Blick auf sein Gesicht genügte ihr, er war jetzt blass und hielt sich sein Herz. Sein Herz? Denkt Amelie, er hat doch gar keines. Theater ist das und wenn nicht auch gut, nein besser.
Gewohnheit
Es ist wieder soweit, der Tanz hat begonnen. Die Jagd um den Tisch – Amelie ist schnell, sie rast, sie rennt immer rundherum. Sie blickt nicht in sein Gesicht, sie weiß es auch so, dass es jetzt immer röter wird, vor Wut, vor fehlender Atemluft, vor Anstrengung. Gut, sehr gut – so geht es ihm wenigstens auch nicht gut.
Sie rennt nach 15 Runden um den Tisch hinaus ins Freie, hinaus in die Sonne. Der Schäferhund Renni läuft ihr laut bellend und fröhlich hinterher – sie laufen um die Wette. Sie lief so schnell, dass die Hühner links und rechts auseinander stoben. Hinter sich hört sie IHN schreien, doch sie klappt die Ohren zu, sie weiß eh, dass es nur Schimpfworte und Drohungen sind, die sie schon tausend Mal gehört hat.
Die beiden – der Hund und Amelie – rannten den Abhang runter in Richtung Wald – ihr geliebter Wald – dort fühlte sie sich zu Hause – nicht dort wo sie herkam.
Schließlich ging ihr die Puste aus – und sie warf sich ins Moos – Renni stürzte sich auf sie und leckte ihr das Gesicht. „Hör auf, hör auf“– lachte sie und zog ihn zu sich runter und da lagen sie gemeinsam eine Weile und atmeten tief. Amelie sah in die Baumwipfel hoch, wie sie leicht hin und her schwangen und dahinter der wolkenlose blaue Himmel. Nach einer Weile standen die beiden auf und marschierten weiter, immer noch weiter vom Haus weg. Sie kannte diesen Wald wie ihren Garten. Amelie begrüßte die dicke Föhre, die ihr jeden Herbst die schönen Föhrenzapfen zum Mobile basteln schenkte und lehnte sich an sie. Sie schloss die Augen und spürte die Kraft des Baumes in ihrem Rücken.
Sie schlenderten noch Stunden umher und allmählich musste sie den Rückweg antreten, es war zu kalt um draußen zu übernachten. Die überlegte: wenn sie jetzt zurückkehrte – ging es gleich wieder los und er würde sie mit Sicherheit noch mehr prügeln. Mit der Mutter war nicht zu rechnen, die war zu schwach. Sie spürte wie roter Zorn aus ihrem Bauch hochstieg. Diese Mutter, die keine war, sie empfand Verachtung für sie. Wie konnte sie das alles zulassen?
Dann fiel ihr ein, dass in der Nähe des Nachbarhofes etwas entfernt eine Scheune war, da würde sie übernachten, da gab es Heu, das warm war und sie begann mit Renni wieder um die Wetter zu laufen. Unterwegs pflückte sie noch 2 Äpfel und noch nicht ganz reife Weizenkerne vom Feld für das Abendessen. Als es schon stark dämmerte, schlüpften die Beiden durch ein loses Brett in die Scheune, machten sich ein Bettchen zurecht – es duftete wunderbar. Das war weich und so bequem, vielleicht würde sie öfter hier übernachten oder für immer.
Sie huschten noch einmal raus in die Dämmerung zum nahegelegenen Bach und tranken das frische Wasser. Anschließend lagen Kind und Hund eng aneinander gekuschelt im Heubett und Amelie dachte: Sollten sie sich nur Sorgen machen und mal darüber nachdenken, warum ER immer sofort zuschlug.
In dieser Geschichte ist es sehr deutlich zu spüren, dass ein anderer Weg als „erdulden“ gewählt wurde. Innen-A. folgt diesmal ihrem natürlichen Impuls vor dem Geschlagenwerden durch die Türe zu laufen, wegzulaufen, den sie damals angstvoll nicht wählen konnte. Das Rennen (dem sich dann auch der liebte Hund anschließt) befreit (körperlich während des Schreibens deutlich zu spüren), nicht darauf zu hören was ihr für Drohworte hinterher gerufen wurden, fühlte sich erleichternd an. Zusätzlich war sie nicht allein, diesmal nicht – ihr Partner, der an ihrer Seite lief, war ihr Hundefreund, den sie liebte. Und auch die Lösung erst mal nicht zurückzukehren, und mit dem Hundehelfer, also wieder nicht allein, die Nacht zu verbringen, geschützt durch den Hund und die Wärme.
Auch in dieser umgeschriebenen Geschichte geht es darum, das alte Muster zu durchbrechen, die eingefrorene Reaktion wieder zum fließen zu bringen (mental und spürbar körperlich auch – während des Schreibens.