Manchmal ist es nötig anzuhalten und zurück zu schauen, um seine Fortschritte genauer in den Blick zu nehmen, sie auch zu bemerken.
Komisch… vor fast 6 Jahren erhielt ich damals die Diagnose DIS und weiß dass ich Viele bin. Das hat mich/uns ganz schön durcheinandergewirbelt. Sich so zu erkennen, sich so zu betrachten war neu, aber durchaus auch hilfreich und erleichternd. Denn vieles erklärte sich damals z.B., dass ich nicht verrückt bin, nur eben, dass ich welche in mir hatte, die so reagierten, dass sie irgendwie nicht zu mir passten, nicht meine Art waren und unverständlich waren – für einige in mir und wir Erklärungsnot hatten, sogar vor uns selbst.
Nach der Diagnose lernten wir erst mal uns ‚auseinanderzudividieren‘, wir lernten uns kennen – besser, aber auch verwirrender und verglichen uns mit anderen mit dieser Diagnose im alten Blog (MelinasSchreibfamilie) mit anderen mit dieser Diagnose, und in der Literatur, die sich mit diesem Thema beschäftigte. Und als wir uns getrennt beäugten lernten wir viel, auch über die Gründe unseres ‚Soseins‘. Es waren so viele Informationen, die plötzlich über uns hereinbrachen, die wir nicht mehr sofort verarbeiten konnten.
Erst war da die Phase, des Vergleichens, in der wir vieles fanden in anderen Schilderungen- aber mindestens ebenso vielem, wo wir unterschiedlich waren. Sehr verwirrend. Unsere Suche nach der Wahrheit, nach unserer wahren Identität in diesem Wirrwarr, brachte uns in durcheinanderbringende Zustände. UND ERST MAL WURDE ALLES – WIRKLICH ALLES SCHLIMMER. Wir wurden Spielball unserer Gedanken, undefinierbaren Gefühlen – Ängsten und Befürchtungen, aber auch Hoffnungen. Wir erlebten eine diesmal (nicht wie in der Kindheit) bewusstere Art von Vergangenheit. Sie rückte so nah, dass wir uns total in ihr verloren und auch in der Hoffnung eines Kindes, doch endlich das zu erhalten, was wir uns ersehnten und als Kind gebraucht hätten und es trotzdem damals nicht zu denken und zu fühlen erlaubt war, weil uns diese immer wieder enttäuschte Hoffnung sonst getötet hätte. Denn sie hatte sich nie erfüllt – nicht erfüllen können mit diesen „Eltern“ – in diesen damaligen Umständen in der Kindheit. Damals wurden wir zu einem Tierchen, das keine Gefühle hatte und kein Denken – wir lebten absolut im Jetzt – ohne Reflexion und ohne einen Blick auf Zukünftiges werfen zu können. Wir lebten in einer Art Stillstand und konnten nicht wachsen und uns entwickeln.
Mit 17 erwachten wir zum ersten Mal zum Denken. Das mag spät sein, aber es rettete uns das Leben und gleichzeitig fingen damals so richtig die ‚Sterbenwollen-Zustände‘ an. Wir versuchten uns in immer kürzeren Zuständen umzubringen. Dieses Erwachen war einfach zu schwer.
Das zweite Erwachen war als ich mich in den Vater meines zukünftigen Kindes verliebte, niemals zuvor, hatte ich mich derart in eine Beziehung eingelassen. Ich spürte deutlich, dass er MEIN Seelengefährte war und ich seine. Aber die Umstände waren sehr unglücklich – Kontinente trennten uns die letzten 37 Jahre. Aber wir hielten über die Jahrzehnte den Kontakt und jedesmal, wenn er zu Besuch kommt – oft nach Jahren Stille – ist es als wäre er gerade von der Arbeit heimgekommen – so vertraut sind wir uns.
Wir haben uns jedesmal wenn wir wieder mal Abschied nahmen gesagt, dass wir das nächste Mal – im nächsten Leben – ein besseres Timing brauchen. Aber unser Wunschkind verbindet uns für alle Zeit. Und meine Tochter alleine groß zu ziehen, beschleunigte mein 2. Erwachen enorm.
Das dritte Erwachen war die Diagnose – nachdem unser schlimmer Unfall, alles zu Tage brachte, was wir energieraubend immer unter der Bewusstseinsgrenze hielten. Dieses erwachte Grauen hielt uns lange in der Hilflosigkeit, wo wir dachten, wir könnten nur noch existieren, wenn wir von Außen Hilfe bekämen, durch Therapie. Wider besseres Wissen! (weil wir ja in den jungen Erwachsenenjahren schon so viel von jener – alles schlimmer machenden „therapeutischen Medizin“ erhalten hatten, die wir deshalb jahrzehntelang bereits als unwirksam eingeschätzte Hilfe abgeschafft hatten). Das Kindheitsgefühl von Hilflosigkeit, die Sehnsucht danach (die wohl jedes Kind in sich trägt), dass Eltern es lieben, ihm das geben was Kinder zum Leben brauchen – erwachte von Neuem, wie schon in den jungen Erwachsenenjahren, in denen wir auch wieder und wieder enttäuscht wurden, und die nötige Hilfe ausblieb um das Elend in uns zu beseitigen.
Wieder landeten wir in der alten Schreckenskindheit ohne wirkliche Hilfe zu bekommen. Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung….. Solche alten Wunden heilen nicht durch Wiederholung und Wiederbelebung der damaligen Gefühle! Sie heilen nicht durch das wiedererwachende Gefühl zu spüren (durch flashbacks und Fühlen was damals geschah, ebenso wenig wie das bewusste Durchleiden der damals für ein Kind nicht lebbaren Verhältnisse – ohne Liebe, ohne Hilfe, ohne Verständnis aufzuwachsen und sogar noch Objekt des Hasses zu sein) – nein – es heilt durch das Begreifen, dass das Damals nicht ‚wiedergutgemacht‘ werden kann, indem wir es noch einmal erleben, durchleben. Aber es war vielleicht notwendig, um zu lernen die Vergangenheit zu akzeptieren und sich dann zu verabschieden von ihr – für immer – endgültig – sie loszulassen und die Lehren daraus mitzunehmen, in den Rest des noch verbleibenden Lebens.
Wenn ich ab und zu einen alten Beitrag aus Melinas Schreibfamilie Blog lese, wird mir bewusst, wie sehr ich mich verlaufen – und verloren hatte, in einer illusionären Wunschwelt nach „Wiedergutmachung“ – nach Heilung – dieser alten Wunden. Ich habe die Sehnsucht gefüttert, dass meine Kindheit – und die ganzen Schäden daraus – ungeschehen gemacht werden könnten, dass mein Leben ohne diese Altlasten viel besser verlaufen könnte, dass durch späte Hilfe (von Außen) ein Reset erfolgen könnte.
Dies hier ist mein einziges Leben (hier auf dieser Erde) und ich habe es intensiv gelebt und all meine Kraft eingesetzt, die mir zur Verfügung stand und ich habe am Ende gelernt, dass alles so ist wie es ist und dass wir nur die Macht haben es zu akzeptieren und daraus zu lernen, was uns diese Lektion lehren kann.
Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir erkennen, dass wir eigentlich (wenn wir höher entwickelt wären, weiter und klüger vielleicht auch) ebenso gut nichts tun hätten können, denn es käme auf dasselbe heraus. Unser Lehrprogramm war uns zu erforschen wer wir wirklich sind und zu erkennen, dass wir das schon immer waren.
Mir fällt da gerade wieder eine Metaphergeschichte ein:
Des Meisters letzte Frage
Der junge Mann hatte schon viel gelernt, er war auf den angesehendsten Schulen, hatte verschiedene Meister besucht und unterschiedliche Lehren studiert. Da hörte er eines Tages von dem alten Meister hoch oben im Gebirge. Also beschloss er dorthin zu gehen.
Er packte seine sieben Sachen, verabschiedete sich, und ging früh am Morgen los. Er ging den ganzen Tag und die ganze Nacht. Früh am Morgen kam er an. Der Meister saß vor seiner Höhle, er lächelte und er trank Tee. Der junge Mann setzte sich zu ihm und erzählte, was er schon alles gelernt hatte. Nach geraumer Zeit schloss er mit der Frage: „Meister, kannst Du mich jetzt lehren?“
Dieser lächelte, wartete einen Moment, und antwortete: „Geh zurück nach Hause, und komm in einem Monat wieder.“ Den gesamten Rückweg fragte sich der junge Mann, was er falsch gemacht haben könnte. Zu Hause diskutierte er das weiter, mit Freunden, Lehrern, jedem, den er gerade traf. Nach einem Monat ging er wieder hoch in die Berge zum Meister. Er ging den ganzen Tag und die ganze Nacht. Früh am Morgen kam er an. Der Meister saß vor seiner Höhle, er lächelte und er trank Tee. Der junge Mann setzte sich zu ihm, und erzählte, was er glaubte, beim letzten Male falsch gemacht zu haben. Nach geraumer Zeit schloss er erneut mit der Frage: „Meister, kannst Du mich jetzt lehren?“ Dieser lächelte, wartete einen Moment, und antwortete: „Geh zurück nach Hause, und komm in einem Monat wieder.“
So gingen mehrere Monate ins Land. Eines Morgens kam der junge Mann wieder vor der Höhle des Meisters an. Der Meister saß vor seiner Höhle, er lächelte und er trank Tee. Der junge Mann setzte sich zu ihm, lächelte, und schwieg.
Nach einer Zeit sagte der Meister: „Jetzt bist Du bereit. In ein volles Glas kann ich nichts füllen“. –
Wieder gingen mehrere Monate ins Land. Eines Morgens sagte der Meister zu seinem Schüler: „Jetzt habe ich nur noch eine Frage, wenn Du die Antwort weißt, kann ich Dich nichts mehr lehren…
Wenn Du ein Glas mit Wasser trinkst, was bleibt hinterher am Boden?“
Manchmal ist es wirklich so, dass wir ‚beschäftigt‘ werden müssen, uns ‚austoben‘ müssen – mit und bei allen möglichen Dingen und Zuständen – ehe wir unsere Wahrheit – unsere Essenz erkennen.