Theorie und Praxis

Bislang habe ich mir seit langem schon (seit ich in Rente bin und auch seit dem Unfall) gezwungenermaßen mein Leben ziemlich stressfrei eingerichtet. Meine Planungen funktionierten recht gut- es gab seit einigen Jahren kaum noch unangenehmen Stress – außer wenn ich Therapie machte oder auf sie warten musste. Das erneute Aufrollen alter Verletzungen stürzten mich endlos in Verzweiflungszustände (der frühere Blog „Melinas-Schreibfamilie“ ist voll davon, aber das war eine andere Zeit). Erst als ich mich von dem Gedanken lösen konnte, dass Therapie von Außen, durch sog. Fachleute mir wirklich helfen könnten – fing es an, dass ich mich öffnen konnte für konstruktives Denken, Reflektieren und anderes Hilfreiches – ich fing an mich zu befreien.

Die Wege, die sich mir – seit ich Pollys Blog eröffnet hatten – waren wirklich lebensverändernd. Mein Leben wurde positiver, hoffnungsvoller, spannender, freudiger und ich fühlte mich mehr und mehr befreit.

Viel Neues, das ich in dem letzten Jahr ausprobierte eröffnete mir neue Wege, die wirklich hilfreich waren. Mit einem Mal wollte ich nicht mehr sterben und hinüber gehen, genoss meine neuen Möglichkeiten und forderte mich heraus mich anderweitig einzubringen an Orten, wo ich mit meinen Fähigkeiten gebraucht wurde – (wo ich helfen konnte, statt darauf zu warten, dass man mir endlich half) engagierte mich im Tauschring, nahm im Ehrenamt eine Funktion im Beratungsbüro unser Akademie für Ältere an, gründete ich vor Ort eine Kooperation bei foodsharing und wurde Zoohelferin für den Artenschutz. Alles wunderbare Tätigkeiten, die mich mit soviel Freude erfüllten, die mir eine völlig neue Welt eröffneten, wo ich plötzlich überall anerkannt und geschätzt wurde. Nebenbei schrieb ich weiter Geschichten und veröffentlichte Bücher – alles in Selbstregie. Manches davon war auch Stress – aber guter Stress. Ich fühlte mich nirgends überfordert – so wie früher, als ich noch arbeitete, Mutter war und materielle Sorgen hatte. Da hatten mich meine Ängste, meine alten Glaubensätze (die zum Teil sehr zerstörerisch waren) noch sehr in Griff.

Durch das letzte Jahr bekam ich „viele Geschenke“ zugespielt, die mein Bewusstsein sehr erweiterten, wo ich alte Mechanismen entdeckte und begriff wie sie mir mein Leben immer noch vergällten und sie verschwanden mehr und mehr, je mehr ich verstand.

Aber unlängst hatte ich eine andere Form von Stress, die mich vor eine alte Zerreißprobe stellte, (gleichzeitige Anforderung von 3 Seiten) wo ich mich sehr schwer tat, zu entscheiden, was nun moralisch richtig für mich war. Eine Planung war nicht möglich. Das beutelte mich ziemlich und ich versuchte umzusetzen, was mich E. Tolle gelehrt hatte: Bleib in der Gegenwart, lass die alten Gedanken los, identifiziere Dich nicht mit ihnen, beobachte was geschieht….. Ja, ich habe beobachtet und ich habe festgestellt, dass es schwer ist das umzusetzen – trotz guten Wissens. Die Angstmechanismen klinkten wieder ein, die abwertenden Gedanken waren wieder da, die Zuversicht und Freude waren verschwunden, die Angst eine falsche Entscheidung zu treffen, ließen mich schlaflos zurück. Ich merkte, dass ich noch nicht so stabil bin wie ich dachte, dass die alten Geister, die alte Unruhe bei Stress sehr schnell wieder da sind.

Ja, es war eine gute Übung und Herausforderung, ich bin schnell wieder heraus gekommen – fand eine Lösung, die nicht alle 3 Seiten gleichzeitig bedienen konnte und spüre noch die Schuldgefühle, das Versagen, dass ich nicht allen 3 Seiten gerecht wurde. Aber so ist es wohl, dass wir es nicht allen recht machen können und ich begriff, dass meine Ansprüche an mich selbst einfach zu hoch waren (wahrscheinlich immer schon) und ich krank darüber wurde, wenn ich nicht alles perfekt hinkriegte. Dann kommen Schuldgefühle und ich falle über mich selbst her – es war und ist mir scheinbar immer noch sehr wichtig, ja nicht jemanden weh zu tun und in meinem seltsamen Gehirn ist immer noch verankert (wieder besseres Wissen), dass es nicht genügt sein bestes zu geben und ich es immer noch nötig habe, perfekt sein zu müssen – zu wollen, auch wenn das nicht gesund, sondern krank machend ist.

Das EGO hatte mich wieder im Griff – aber ich weiß ich bin stärker, denn ich habe es durchschaut – ich schaffe das, denn Bewusstsein ist stärker als Unbewusstheit (oder anders ausgedrückt: das Licht ist stärker als der Schatten)

 

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Vom Unglücklichsein

Fortsetzung aus „Eine neue Erde“ von Eckhart Tolle

„Das Unglücklichsein

Nicht alles Unglücksein kommt vom Schmerzkörper. Ein Teil davon ist neu und kommt daher, wenn Du nicht mehr mit dem gegenwärtigen Augenblick übereinstimmst, wenn Du das JETZT auf die eine oder andere Art verleugnest. Wenn Du erkennst, dass der gegenwärtige Augenblick schon immer da und unvermeidlich ist, kannst Du entschieden Ja dazu sagen, und wirst so nicht nur augenblickliches Unglück vermeiden, sondern ohne den bisherigen Widerstand im Leben neue Kraft finden.

Das durch den Schmerzkörper bedingte Unglücklichsein (durch das ständige gedanklich in der Vergangenheit weilen) steht in keinem Verhältnis zum Auslöser, mit anderen Worten, es ist eine Überreaktion. Daran ist es zu erkennen, allerdings selten von der betreffenden Person, vom Leidenden selbst. Jemand mit einem starken Schmerzkörper findet leicht Gründe um sich zu ärgern, wütend, verletzt, traurig, oder voller Angst zu sein.

Relativ unbedeutende Dinge, über die jemand anderer mit einem Schulterzucken und einem Lächeln hinweg geht oder die er erst gar nicht wahrnehmen würde, werden zur Ursache tiefsten Unglücklichseins. Sie sind natürlich nicht der wahre Grund, sondern fungieren nur als Auslöser. Sie lassen alte, angestaute Emotionen wieder lebendig werden. Die Empfindung steigt in den Kopf auf, führt dem EGO-Denkstrukturen Energie zu und bläht sie auf. Schmerzkörper und EGO sind enge Verwandte, sie brauchen einander. Darum wird das auslösende Ereignis, die auslösende Situation, durch die Brille eines stark emotionalen EGOs gesehen und interpretiert und dementsprechend reagiert man darauf, d.h. ihre Bedeutung wird völlig verkannt. Du betrachtest den gegenwärtigen Augenblick durch die Brille der emotionalen Vergangenheit in Deinem Innern – mit anderen Worten, das was Du siehst und erfährst, ist nicht das betreffende Ereignis und die betreffende Situation, sondern etwas in Dir. Gelegentlich ist es vielleicht wirklich die eigentliche Situation oder das Ereignis, aber mit Deiner Reaktion verstärkst Du es. Eine solche Reaktion, eine solche Verstärkung ist genau das was der Schmerzkörper will und braucht und wovon er zehrt.

Einen Menschen mit einem starken Schmerzkörper, der von ihm Besitz ergriffen hat, ist es oft unmöglich ihn von seiner Fehlinterpretation, von seiner durch und durch emotionalen Geschichte zu lösen. Je negativer, die mit der Geschichte verbundenen Gefühle sind, umso drückender und undurchschaubarer wird sie und so wird sie gar nicht als Geschichte erkannt, sondern für wirklich gehalten. Wenn Du vollkommen in Deinen Gedanken und den sie begleitenden Emotionen gefangen bist, kannst Du nicht aus ihnen heraus treten, weil Du gar nicht weißt, dass es ein Außen gibt. Du sitzt in Deinem eigenen Film oder Traum, in Deiner eigenen Hölle fest – für Dich sind sie Realität und eine andere Realität gibt es nicht. Und aus Deiner Sicht ist es die einzig mögliche Reaktion.

Postkarten-02

Beim letzten Absatz konnte ich nur die ganze Zeit denken: Ja, so war es – genau so. So war es als ich noch ständig in der Leidensspirale war. Wenn man mich da rausholen wollte aus meinem ‚Automatismus‘ der Verzweiflung und Verteidigung, war ich für andere Argumente nicht zugänglich – egal ob ich am Telefon war, oder im direkten Kontakt – ich war voll überzeugt, dass nur ich recht hatte, nur ich mein Leid verstehen konnte und verzweifelte daran, wenn jemand versuchte mir die reale Situation vor Augen zu halten, weil ich mich in meinem Schmerz nicht anerkannt fühlte. Panik und Schrecken waren so überzeugend, dass die Realität nicht mehr wahrgenommen werden konnte (bestenfalls hinterher) und sehr oft (eigentlich immer), war die auslösende Situation in der Tat überhaupt nicht bedrohlich – aber ich fühlte es lebensbedrohlich.

Diese Zusammenhänge zu erkennen, erleichtert sehr und ich bin überzeugt, dass wir durch dieses Wissen es jetzt schaffen können – keine Automatismen, die Schrecken der Vergangenheit, mehr zulassen werden, sobald wir uns an dieses Wissen erinnern und es erkennen – sollten wir wieder in solche Situation geraten.

Es ist irgendwie lustig, aber ich warte schon richtig darauf (mit Freude), dass ich endlich mal Gelegenheit bekomme – in der Gegenwart mal solche Situationen zu erleben – um mich zu erproben in der Praxis. In mir ist eine große Sicherheit, dass mir das mit dem neuen Wissen auch gelingen wird.

Schurke – Opfer

E. Tolle „Eine neue Erde“ Fortsetzung:

„EGOs, denen keine Bewunderung zuteil wird, versuchen manchmal in anderer Form auf sich aufmerksam zu machen und spielen verschieden Rollen um dies zu erreichen. Wenn sie keine positive Beachtung finden, verlegen sie sich mitunter darauf, negativ aufzufallen, z.Bsp. indem sie jemanden zu einer negativen Reaktion herausfordern. Schon manche Kinder tun das, sie benehmen sich schlecht um Aufmerksamkeit zu erregen. Negative Rollen werden besonders dann gespielt, wenn das EGO durch einen aktiven Schmerzkörper vergrößert ist, d.h. durch einen emotionalen Schmerz aus der Vergangenheit, der durch Auffrischung nach neuer schmerzvoller Erfahrung verlangt. Manche EGOs begehen Verbrechen um zu trauriger Berühmtheit zu gelangen, sie versuchen wenigstens dadurch Aufsehen zu erregen, dass sie bekannt werden und andere sie verdammen – „bitte bestätige mir, dass ich existiere, dass ich nicht völlig unbedeutend bin“- scheinen sie sagen zu wollen. Solche pathologische EGO-Formen sind im Grunde nur extremere Versionen von normalen EGOs.

Eine Rolle, die häufig gespielt wird ist die des Opfers und die Formen von Aufmerksamkeit, die so gesucht werden, sind Sympathie und Mitleid, das Interesse an meinen Problemen, an mir und meiner Geschichte. Sich selbst als Opfer zu betrachten, ist Bestandteil vieler EGO-Muster, wie etwa dem Klagen, dem Beleidigt- und dem Wütendsein. Habe ich mich erst einmal mit einer Geschichte identifiziert, in der ich mir die Rolle des Opfers zugewiesen habe, möchte ich natürlich nicht, dass die Geschichte aufhört, denn wie jeder Therapeut weiß, will das EGO nicht, dass seine Probleme ein Ende haben, weil sie Teil seiner Identität sind. Wenn niemand meine traurige Geschichte hören will, erzähle ich sie mir im Geiste selbst immer wieder neu und tue mir dann furchtbar leid und schon habe ich eine Identität als jemand, der vom Leben, von anderen Menschen, vom Schicksal oder von Gott ungerecht behandelt wird. Sie liefern mir eine Definition eines Selbstbildes und macht jemanden aus mir und das ist alles was für das EGO zählt.

Ja, das EGO will immer, dass alles so bleibt wie es ist, es hat Angst vor Veränderung, für das EGO ist Veränderung gleichbedeutend mit sterben.

Die obige Aussage von Tolle ist starker Tobak – ABER – wenn wir fähig sind das anzuschauen und auch wenn wir unser Leben rückwirkend betrachten – so fallen mir gleich eine Handvoll Gegebenheiten ein, die das bestätigen.

Erst mal als Kind: Als Kind wurde ich nie positiv verstärkt oder betrachtet – im Gegenteil. Ich wurde als Störfaktor, als nicht gewollt, als schwarzes Schaf gesehen, es gab nichts Gutes an mir…. Die gefühlte Tatsache (von Verwandten bestätigt), dass ich abgetrieben werden sollte und von einem Vater stammte, den meine Mutter gehasst hat – war wohl am schlimmsten für mich als Kind. Mein Lebensrecht war mir sozusagen abgesprochen – meine Mutter wollte mich nicht nicht und die täglichen Prügel von meinem Stiefvater hämmerten mir das auch glaubhaft in mich hinein. So, begann ich mir einen Trick auszudenken (unbewusst) mich bei den Misshandlungen nach einer Weile tot zu stellen, was regelmäßig irgendwann bei meiner Mutter (die daneben stand) den Ruf entlockte: „Hör auf, Du schlägst sie ja tot“. Dies wiederholte sich fast täglich, jedesmal holte ich mir (unbewusst) auf diese Weise meine Lebensberechtigung.

Später als junge Erwachsene und auch noch nach meinem Unfall und der Diagnose DIS, blieb ich weiter Opfer meiner Schreckenserziehung. Und ich werde wohl nie aufhören diese Jahre zu bedauern, in denen ich mich als Opfer gefühlt habe, die mich so viel Zeit kosteten, weil das Opfersein mich jahrelang gefangen hielt. Was hätte ich in all den verlorenen Jahren alles Wunderbares tun können – aber vielleicht werde ich ja 104 wie eine Tante mütterlicherseits und durch immer mehr Bewusstsein – bleibt auch mein Geist vielleicht noch noch lange helle. 😉 

In der Opferrolle bekommt das EGO viel Nahrung, durch Trost und Aufmerksamkeit – jedenfalls kurzfristig (nicht langfristig) und weil dieser Trost nicht lange anhält, muss diese verhängnisvolle Rolle stets mit neuen alten Opferaussagen erneut bestätigt werden. So ist mir jetzt auch klar, warum ich in dieser Phase immer wieder den Eindruck hatte, dass es im Kontakt (Blog) mit anderen „Opfern“ damals – zu dieser steten Steigerung von Leid kam (ich bin viel schlimmer dran…. mir geht es am schlechtesten … mir ist das Schrecklichste passiert…).

Für mich ist es sehr heilsam, durch diese Texte von Tolle, zu erkennen, was damals geschah mit und in mir – so ist der Weg zurück zu Opferverhalten nicht mehr gangbar, er ist durch das neue Bewusstsein oder Bewusstgewordensein nun unmöglich geworden. Das ist ja oft bei sog. Opfern der Fall, dass sie sich auf den Weg machen und dann nach einiger Zeit wieder zurück fallen und aufgeben, weil es nicht gleich funktioniert hat. Hat man die Mechanismen des EGOs erst einmal durchschaut – will man sie nicht mehr bedienen, man kann keinen Nutzen mehr daraus ziehen, wenn man sie erst einmal verstanden hat. Das EGO hat nur im unbewussten Zustand Macht über uns.